Völklingen. Über „Post-Covid und Post-Vac aus Sicht der Kardiologen“ sprach der Marburger Professor und Kardiologe Dr. Bernhard Schieffer in einem „Herz im Focus Spezial“ des Herzzentrums Saar im Kongresszentrum der SHG-Kliniken Völklingen. Grund für den kurzfristig organisierten Expertenvortrag vor rund 50 niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten der Region: In den Praxen tauchen vermehrt Patienten auf, die an Langzeitfolgen der Covid 19-Erkrankung oder an Spätfolgen einer Impfung leiden.
Mit Professor Schieffer referierte einer der renommiertesten europäischen Experten zu Post-Covid, den möglichen Spätfolgen der Infektion. Der Direktor der Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin am Universitätsklinikum Gießen-Marburg forscht auch auf dem Gebiet von Post-Vac, den Spätfolgen einer Impfung.
Post-Covid bedeutet, dass die Symptome einer Covid-Infektion länger als zwölf Wochen andauern, erläuterte Schieffer. Zu den Symptomen gehören eine schnelle Erschöpfung und mangelnde Belastbarkeit, die bis hin zur chronischen Fatigue gehen können, Muskelschwäche, auch mit Herz- oder Darmbeteiligungen. Das Post-Vac-Syndrom stellt sich ähnlich dar, allerdings ohne nachweisbare Infektion als Spätfolge einer Impfung. Wobei das Post-Vac-Syndrom äußerst selten sei, so der Experte.
„Die Post-Covid-Symptomatik haben wir nach der ersten Welle 2020 bei fast 700 000 Patientinnen und Patienten festgestellt. Viele davon sind bis heute nicht arbeitsfähig“, so Schieffer. Das seien fast eine dreiviertel Million größtenteils junger Menschen, die das Sozialsystem auffangen müsse. Das Problem: „Wir wissen noch nicht genau, was dahintersteckt. Es gibt auch noch keine ICD-Nummer“, einen Zahlencode zur Abrechnung der medizinischen Behandlung. Eine erste multizentrische Studie, mit deren Hilfe Diagnosekriterien festgelegt werden könnten, soll im Oktober starten. Derzeit vermutet man als Ursache eine typische Anordnung bestimmter Eiweiße im Blut. Und: „Das Renin-Angiotensin System spielt verrückt“, sagt der Wissenschaftler. Dieses ist für den Blutdruck und den Elektrolythaushalt zuständig.
Was man weiß: Die Mehrzahl der Betroffenen sind Frauen im Alter zwischen 35 und 45. Viele von ihnen leiden ursprünglich an einer Autoimmunerkrankung. Derzeit führt man die Symptomatik darauf zurück, dass sich Cholesterinablagerungen in den Mikrokapillaren des Blutkreislaufs bilden. Bei einer Herzbeutelentzündung seien beispielsweise Viruspartikel noch bis zu 140 Tagen nachweisbar. „Das ist der Stand von heute. In vier Wochen kann das wieder ganz anders aussehen“, so Professor Schieffer. Die Forschung arbeitet also auf Hochtouren. Vielen Patienten könne aber bereits mit einer einfachen medikamentösen und ernährungsbasierten Therapie deutlich geholfen werden.
Auch wenn er in seiner Arbeit immer wieder Patientinnen und Patienten mit Post-Vac sehe, sei er kein Gegner der Impfung, so Schieffer ausdrücklich. Allerdings werde die Diskussion um die vierte Impfung viel zu emotional geführt. Die Entscheidung dafür sei eine individuale, auch des behandelnden Arztes. Nach drei Impfungen seien die Menschen ausreichend immunisiert, um schwere Verläufe abzumildern. Die vierte Impfung müsse deshalb im Einzelfall abgewogen werden.
Foto: SHG/Harald Kiefer