Merzig. Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen“ hieß das Thema für Joachim Bechtold, Oberarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Klinikum Merzig, in einem Vortrag bei der CEB Akademie. Unter den Zuhörern waren auch rund 30 Erzieherinnen und Erzieher sowie Kinderpflegerinnen aus verschiedenen Kitas im Landkreis Merzig-Wadern. Bechtolds Botschaft: Verhaltensauffälligkeiten treten oft dann auf, wenn grundlegende Bindungen zu Eltern oder wichtigen Bezugspersonen fehlen. Solchen Störungen begegnet man am besten, indem man ein Umfeld schafft, das den Betroffenen Verlässlichkeit und Kontinuität bietet.
Die Entwicklung von Kindern wird an verschiedenen Modellen erklärt. Im ersten Lebensjahr beurteilen Kinderärzte die Entwicklung mit Hilfe der „Münchner funktionellen Entwicklungsdiagnostik“. „Am Anfang schaut man aufs Krabbeln, Sitzen und Stehen, sowie auf die Motorik der Hand – das Greifen“, erläuterte Bechtold. Weiter führt die Diagnostik des kognitiven Entwicklungsstandes nach Piaget, der die normale Entwicklung von Kindern bis nach dem 12. Lebensjahr in vier Stufen einordnet. Auch Siegmund Freud hatte die Entwicklung von Kindern in verschiedene Phasen eingeteilt. Nach der Bindungstheorie entwickelt der Säugling im ersten Lebensjahr eine sichere und verlässliche Bindung zu einer Person. Ab dem siebten Lebensmonat beginnt dann die Erfahrung der Selbstwirksamkeit. Der Säugling macht die Erfahrung, dass er in der Interaktion mit seiner Umwelt etwas bewirken kann.
„Kinder leben in einer magischen Welt und auch Gegenständen werden menschliche Verhaltensweisen zugeschrieben“, erläuterte Bechtold. „Zum Beispiel ‚böser Ball‘, wenn ein Kind von einem Ball getroffen wird, oder ‚böser Tisch‘, wenn es sich an einer Tischkante stößt. Auch das Christkind und der Osterhase sind ganz reale Figuren.“ Komplizierte Sachverhalte werden im Kindergartenalter einfach erklärt: „Der Kastanienbaum ist dafür da, dass ich im Herbst mit Kastanien basteln kann.“
Nach der Bindungstheorie ist die Entwicklung im Schulalter abgeschlossen, wird aber immer wieder in Frage gestellt. Fehlt eine grundlegende Bindung, kann es zu Verhaltensauffälligkeiten kommen. Das habe man zum Beispiel bei Kindern aus rumänischen Kinderheimen festgestellt, die auch später, im Teenageralter immer wieder die Bindung zu ihren Adoptiveltern austesteten. „Etwa die Frage: Liebst du mich auch noch, wenn ich drei Tage verschwunden war, oder du mich von der Polizei abholen musst?“.
Viele Fragen brannten den Zuhörerinnen unter den Nägeln. „Was kann ich tun, wenn Kinder bei jeder Kleinigkeit aggressiv werden?“ oder „Wie geht man mit Kindern um, die emotionale Kälte erfahren haben und aggressiv gegen sich selbst sind?“ Bechtold musste eine ernüchternde Antwort geben: „Es gibt noch keine Therapiemethoden, die speziell für Bindungsstörungen entwickelt wurden. Aber Verlässlichkeit und Kontinuität ist ganz wichtig.“ Ritualisierte Abläufe sollten geschaffen werden.
Erfahrungen aus der SHG-Tagesklinik zeigten, dass gemeinsames Kochen, Essen und anschließendes Aufräumen gute Schritte auf diesem Weg seien. „Verlässlichkeit ist ganz wichtig. Keine falschen Versprechungen machen. Und schauen, was kann man von diesem Kind aufgrund seines Entwicklungsstandes erwarten?“ Erzieher können zuhören: „Wie ist es zu Hause?“ und versuchen ein Gespräch mit den Eltern zu führen. „Ideal ist es beispielsweise bei uns in der Therapie, wenn Eltern und Kita an einem Strang ziehen.“ Seiner Erfahrung nach, so Bechtold, herrsche heutzutage viel Erziehungsunsicherheit. „Es gilt feinfühlig mit den Kindern umzugehen.“ Und auch immer zu fragen: „Wo ist der Leidensdruck?“
Foto: SHG/Harald Kiefer